Kein Hass mehr

Zeitzeuginnen

Direkt an der Hauptverkehrsstraße und gegenüber der Bahnlinie von Eberswalde nach Finowfurt am Bahnhof Eisenspalterei befand sich von September 1944 bis April 1945 ein Außenlager des KZ Ravensbrück. Janina Wyrzykowska, Wacława Gałęzowska und Marianna Bogusz waren hierher 1944 verschleppt worden und berichten uns über sich, ihren Weg aus Warschau hierher und zurück und über das Lager.

 

Kapitel 1 - Bis der Krieg kam

Janina Wyrzykowska geb. Głódź,

Ich komme aus einer Handwerkerfamilie, mein Papa war Schuster. Wir waren zwei Kinder, mein jüngerer Bruder und ich. Die Eltern liebten uns sehr und wollten uns immer beschützen, damit uns nichts Schlimmes zustieß.

Ich weiß noch, dass meine Mama uns beide oft an die Hand nahm und Papa von der Arbeit abholen ging. Wir trafen ihn dann in einem Park. Die Eltern setzten sich auf eine Bank, und wir durften uns tummeln.

Wir hatten eine schöne Wohnung in einem großen Wohnhaus im Zentrum von Warschau. Ich ging auf die Grundschule und schaffte es bis zur dritten Klasse, bis der Krieg kam. 

Was ich sehr mochte, war Lesen. Ich setzte mich hin und las laut vor, und meine Eltern und mein Bruder hörten zu.

Dieses Foto bekam ich von meiner Patentante, die außerhalb von Warschau wohnte. Bei uns war alles verbrannt.

Marianna Bogusz, geb. Janiszewska

Es war eine große Familie: meine Eltern und wir, sechs Kinder, fünf Mädchen und ein Junge. Bei uns wohnten noch meine Oma und eine Tante. Alle waren gläubig und religiös und gingen jeden Sonntag zusammen in die Kirche.

Mein Vater leitete eine Transportfirma mit Pferdewagen für Kohle. Einer seiner Angestellten hatte zwei Söhne, und als dessen Frau gestorben war, kamen diese Jungen zu uns. Meine Mutter sagte: „Wenn ich für sechs Kinder kochen kann, kann ich auch für acht kochen. Und dann spielen sie alle zusammen.“

Wacława Gałęzowska, geb. Chmielewska

Meine beiden Eltern arbeiteten: Meine Mama war beim Militär beschäftigt, mein Papa arbeitete in einer Metallfabrik in Warschau. Sie führten ein ganz normales Leben, eine Familie, die ihre Kinder anständig großzog.

Wir waren vier Schwestern, und mein Vater bedauerte immer, dass er keinen Sohn hatte. Wenn die Eltern bei der Arbeit waren, kam Oma und betreute uns. Sie war sehr lieb, die Oma. Mit sieben kam ich zur Schule. Viele Kinder aus meiner Schule wohnten in derselben Straße wie ich, so dass wir uns alle gut kannten. Ich hatte viele jüdische Spielkameraden.

In meine Klasse gingen Adam, Abramek, Sejwa und Lewek. Ich erinnere mich an sie bis heute. Ich gehörte zu den Pfadfindern, war in einer Tanzgruppe, sang im Schulchor. Wenn es Feierlichkeiten in der Schule gab, trat ich immer auf und trug Gedichte vor.
Damals, als Kind, träumte ich davon, Schauspielerin zu werden. Und ich wollte so gerne lernen, so gerne!

Kapitel 2 - Der Weg ins Lager

Janina Wyrzykowska 

Am 1. September 1939 gab es im Radio immer wieder die bedrohliche verschlüsselte Ansage: „Achtung, Achtung, es kommt!” Und dann „Vorbei, vorbei.“ Das waren Warnungen unmittelbar vor der Bombardierung. Und die Sirenen heulten. Aus dem dritten Stockwerk mussten wir runter in den Keller, einen gewöhnlichen Keller in unserem Wohnhaus, Luftschutzräume gab es nicht. Verängstigt saßen wir da. Alle beteten.

Dann kamen die Besatzung und der Terror. Schluss und aus mit der glücklichen Kindheit! Und ich war erst elf. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, von meinen Eltern getrennt zu werden. Darüber hinaus fürchtete ich mich schrecklich vor den Deutschen, da ich wusste, dass sie Menschen fingen und verschleppten. Straßenrazzien waren an der Tagesordnung. Du gingst aus dem Haus und wusstest nicht, ob du zurückkommst.

Als wir am 1. August 1944 Schüsse auf der Straße hörten, wussten wir sofort, dass es losging: der Aufstand. Zwei oder drei Tage später stürmten die Deutschen unser Haus und führten alle Männer ab. Meinen Papa auch. Zur Erschießung. Wir waren völlig verzweifelt. Doch die Aufständischen befreiten sie, und Papa kam zurück. Das war ein großes Glück. Aber ständig gab es Bombardierungen und Beschuss. Ich weiß noch, wie Mama einmal alleine unterwegs war und wir alle zitterten, ob sie zurückkommt. Dann sagte Papa, sie solle nie alleine irgendwohin gehen. „Wenn wir schon umkommen müssen, dann alle zusammen.“ Später wurden wir aber doch getrennt.

Wacława Gałęzowska

Als der Aufstand in Warschau begann, wollten meine Freundin Marysia, die in derselben Straße wohnte, und ich unbedingt helfen. Einige Male trugen wir Verwundete ins Krankenhaus. Am 4. oder 5. August kamen die Deutschen und trieben uns aus dem Keller. „Raus, raus, aber schnell!“ war zu hören. Eine riesige Menschenmenge schlängelte sich durch die Straßen. Warschau brannte. Mit der Stadtbahn brachte man uns zu einem Durchgangslager in einer alten Eisenbahnwerkstatt. Meine Freundin und ich trafen dort eine ältere Frau aus unserer Straße, und sie wurde unsere Ersatzmutter. Nach ein paar Tagen mussten wir in Güterwaggons steigen, und der Zug fuhr los. Über Oranienburg gelangten wir nach Ravensbrück

Marianna Bogusz

Ich ging mit meiner älteren Schwester zur Schule, eigentlich zum Geheimunterricht in einer privaten Wohnung. Dort wurden wir mit den anderen während des Aufstands abgeholt. Wir flüchteten dann durch verschiedene Keller, wurden aber auf einer Straße wieder geschnappt. Die Deutschen trieben gerade eine große Menschenmenge von einem Marktplatz, und wir mussten mit. Zu Fuß liefen wir nach Pruszków, einige Kilometer von Warschau.

Dort wimmelte es nur so von Menschen. Alle vom Aufstand. Niemand fragte, woher jemand kam, in welcher Straße er wohnte. Alle dachten vor allem an sich selbst und ihre Angehörigen. Etwas Essen aufzutreiben, einen Platz zu finden – das waren die Sorgen. Auf einmal ging ein Gerücht durch die Menge, dass das Rote Kreuz angeblich Milchgrieß für die Kinder und Tee verteilte. Neben mir stand eine Frau mit einem Baby und einem etwas älteren Jungen, und sie wollte unbedingt diesen Milchgrieß holen. Wir hatten ja nichts zu essen. Sie bat mich, auf das Kind aufzupassen, gab es mir und ging. Einige Stunden habe ich das Baby getragen, gewiegt, damit es nicht weinte, an mich geschmiegt, bis seine Mutter zurückkam. Sie brachte tatsächlich ein Glas mit Grieß mit. Aber das Baby war unterdessen gestorben, und ich wusste es nicht. Bis dahin hatte ich noch nie einen Toten gesehen, jetzt hielt ich ein totes Kind in den Armen. Die Mutter war verzweifelt. und am Zaun wurde das Baby verscharrt.

Kapitel 3 - Der Weg ins Lager – Schluss und aus mit der glücklichen Kindheit!

Janina Wyrzykowska 

Am 1. September 1939 gab es im Radio immer wieder die bedrohliche verschlüsselte Ansage: „Achtung, Achtung, es kommt!” Und dann „Vorbei, vorbei.“ Das waren Warnungen unmittelbar vor der Bombardierung. Und die Sirenen heulten. Aus dem dritten Stockwerk mussten wir runter in den Keller, einen gewöhnlichen Keller in unserem Wohnhaus, Luftschutzräume gab es nicht. Verängstigt saßen wir da. Alle beteten.

Dann kamen die Besatzung und der Terror. Schluss und aus mit der glücklichen Kindheit! Und ich war erst elf. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, von meinen Eltern getrennt zu werden. Darüber hinaus fürchtete ich mich schrecklich vor den Deutschen, da ich wusste, dass sie Menschen fingen und verschleppten. Straßenrazzien waren an der Tagesordnung. Du gingst aus dem Haus und wusstest nicht, ob du zurückkommst.

Als wir am 1. August 1944 Schüsse auf der Straße hörten, wussten wir sofort, dass es losging: der Aufstand. Zwei oder drei Tage später stürmten die Deutschen unser Haus und führten alle Männer ab. Meinen Papa auch. Zur Erschießung. Wir waren völlig verzweifelt. Doch die Aufständischen befreiten sie, und Papa kam zurück. Das war ein großes Glück. Aber ständig gab es Bombardierungen und Beschuss. Ich weiß noch, wie Mama einmal alleine unterwegs war und wir alle zitterten, ob sie zurückkommt. Dann sagte Papa, sie solle nie alleine irgendwohin gehen. „Wenn wir schon umkommen müssen, dann alle zusammen.“ Später wurden wir aber doch getrennt.

Wacława Gałęzowska

Als der Aufstand in Warschau begann, wollten meine Freundin Marysia, die in derselben Straße wohnte, und ich unbedingt helfen. Einige Male trugen wir Verwundete ins Krankenhaus. Am 4. oder 5. August kamen die Deutschen und trieben uns aus dem Keller. „Raus, raus, aber schnell!“ war zu hören. Eine riesige Menschenmenge schlängelte sich durch die Straßen. Warschau brannte. Mit der Stadtbahn brachte man uns zu einem Durchgangslager in einer alten Eisenbahnwerkstatt. Meine Freundin und ich trafen dort eine ältere Frau aus unserer Straße, und sie wurde unsere Ersatzmutter. Nach ein paar Tagen mussten wir in Güterwaggons steigen, und der Zug fuhr los. Über Oranienburg gelangten wir nach Ravensbrück.

Marianna Bogusz

Ich ging mit meiner älteren Schwester zur Schule, eigentlich zum Geheimunterricht in einer privaten Wohnung. Dort wurden wir mit den anderen während des Aufstands abgeholt. Wir flüchteten dann durch verschiedene Keller, wurden aber auf einer Straße wieder geschnappt. Die Deutschen trieben gerade eine große Menschenmenge von einem Marktplatz, und wir mussten mit. Zu Fuß liefen wir nach Pruszków, einige Kilometer von Warschau.

Dort wimmelte es nur so von Menschen. Alle vom Aufstand. Niemand fragte, woher jemand kam, in welcher Straße er wohnte. Alle dachten vor allem an sich selbst und ihre Angehörigen. Etwas Essen aufzutreiben, einen Platz zu finden – das waren die Sorgen. Auf einmal ging ein Gerücht durch die Menge, dass das Rote Kreuz angeblich Milchgrieß für die Kinder und Tee verteilte. Neben mir stand eine Frau mit einem Baby und einem etwas älteren Jungen, und sie wollte unbedingt diesen Milchgrieß holen. Wir hatten ja nichts zu essen. Sie bat mich, auf das Kind aufzupassen, gab es mir und ging. Einige Stunden habe ich das Baby getragen, gewiegt, damit es nicht weinte, an mich geschmiegt, bis seine Mutter zurückkam. Sie brachte tatsächlich ein Glas mit Grieß mit. Aber das Baby war unterdessen gestorben, und ich wusste es nicht. Bis dahin hatte ich noch nie einen Toten gesehen, jetzt hielt ich ein totes Kind in den Armen. Die Mutter war verzweifelt. Dann gruben wir ein kleines Loch in der Erde, und am Zaun wurde das Baby verscharrt.

Kapitel 4 - Der Weg ins Lager – Ich hatte keinen Namen mehr

Janina Wyrzykowska 

Es war der 15. August 1944, als wir, meine Mama und ich, in Ravensbrück ankamen. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas auf der Welt gab: ein Konzentrationslager. Das Geschrei „Schnell, schnell!“, alles auf Deutsch. Stacheldraht, Hunde bellten. Um uns herum lauter Uniformierte, wahrscheinlich SS-Männer, Aufseherinnen.

In Ravensbrück wurden wir, meine Mama und ich, zu Erdarbeiten geschickt und mussten einen Karren mit Steinen schieben. Das war eine furchtbar schwere Arbeit. Zu essen bekamen wir Suppe aus Steckrüben, in der es so viel Sand gab, dass er zwischen den Zähnen knirschte. Wir konnten das nicht essen. Wir waren dort bis zum 4. September.

 

Wacława Gałęzowska


Wir gingen durch das große Tor: Frauen in gestreiften Anzügen, Stacheldraht, das Gebrüll der Deutschen. Ich sagte zu meiner Freundin: „Lebendig kommen wir hier nicht wieder raus.“ Wir bekamen Nummer, meine war 52.633. Von dem Moment an hatte ich keinen Namen mehr, dafür aber einen roten Winkel mit dem Buchstaben „P“. „P“, weil ich Polin war. Und den roten Winkel für Politische. Wir alle waren politisch, alle Frauen aus Warschau. Auch 15-, 16-jährige Mädchen!

Den Kopf hat man mir geschoren, so dass ich gar keine Haare mehr hatte. Und dann musste ich mich einer gynäkologischen Untersuchung unterziehen. Das war furchtbar, ich war gerade 15 geworden. Alle Sachen nahm man uns weg, und wir bekamen schmutzige, gebrauchte Lumpen. Dünne Kleider mit angenähten großen Kreuzen aus einem anderen Stoff auf der Brust. Ich hatte ein braunes Kleid mit dunkelblauem Kreuz vorne und am Rücken großes dunkelblaues Viereck. Ich zitterte vor Kälte. Wir kamen in den Block. Ein lautes Schluchzen brach aus. Was ist uns bloß passiert?!

 

Marianna Bogusz


Von Pruszków ging es zunächst nach Oranienburg, dort wurden wir selektiert: Die Männer wurden ausgesondert, dann die Frauen mit Kleinkindern von anderen Frauen und Mädchen getrennt. Ich ging mit einer Gruppe nach Ravensbrück. Ich hatte damals lange Zöpfe, und als wir im Lager ankamen, schnitt mir meine Schwester diese Zöpfe mit einem Messer ab.  

Auf dem Appelplatz mussten wir uns nackt ausziehen, dann ging es ins Bad. Zuvor hat man uns alles weggenommen, unsere Kleider, Schmuck, Geld, wenn jemand etwas mithatte. Ich musste Ohrringe und einen Kreuzanhänger aus Silber ich abgeben. Dann bekam ich Holzschuhe, ein dünnes Kleid, einen Mantel ohne Futter und ein dünnes langes Hemd. Wir waren dort sehr, sehr viele, meine Nummer war 52.497. Und wie viele Transporte noch nach uns gekommen sind! Eines Tages befahl man uns anzutreten und uns nackt auszuziehen. Einige Deutsche kamen und wählten sich Frauen aus. Sie schauten, ob wir gesunde Hände und alle Zähne hatten.

Kapitel 5 - Lageralltag – Neun Monate in einem Kleid

Marianna Bogusz


Ich war noch 14 Jahre alt, als ich zusammen mit meiner Schwester in Eberswalde landete. Das Eingangstor zum Lager lag nahe der Hauptstraße. Dort stand ein Wachhäuschen mit Wachmann. Und es gab Zäune aus Stacheldraht, drei Zäune, das ganze Gelände war umzäunt. Ein Zaun, der zweite unter Strom und noch ein dritter. An den Ecken standen Wachtürme und darauf Wachmänner mit Maschinenpistolen. Wir dachten aber gar nicht an die Flucht. Wie denn? Der Zaun reichte bis zur Erde, man hätte graben müssen, aber womit? Mit bloßen Händen? Und wohin dann fliehen? Wir hatten keine richtige Kleidung, kannten die Sprache nicht. Die Deutschen hätten uns ohnehin verpfiffen, da sie Angst hatten, selbst in einem Lager zu landen.

Die hygienischen Verhältnisse waren so, dass ich die ganzen neun Monate in diesem einem Kleid herumlief. Wäsche waschen konnte man nicht. Ich spürte den Dreck und Gestank. Dazu noch die Läuse, unglaublich viele! Das Kleid war schrecklich dünn, und während der Appelle, wenn die Aufseherinnen nicht ganz nahe waren, versuchten wir uns aneinander zu wärmen. Das war aber verboten, da wir einen ausgestreckten Arm Abstand halten mussten. Wir hatten keine Wäsche, keinen Schlüpfer, keine Strümpfe. Mit nackten Füßen standen wir Appell und liefen zur Fabrik. Die Kälte war schrecklich, die erfrorenen Füße schmerzten so sehr.

Auf dem Appellplatz standen längliche Waschbecken mit Wasserhähnen. Morgens, vor dem Appell, lief das Wasser drei, vielleicht fünf Minuten. Schaffte eine sich ein wenig zu waschen, war es gut, schaffte sie es nicht, dann eben nicht. Einmal seifte ich mir die Haare mit der sandigen Seife ein. Ich hatte sehr dichtes Haar. Dann wollte ich es ausspülen. Mit kaltem Wasser, Warmwasser gab es nicht. Aber das Wasser war schon abgestellt, und ich blieb mit dem eingeseiften, klebenden Haar zurück und musste so in die Fabrik.

 

Janina Wyrzykowska 

Eberswalde: Wieder Stacheldraht, wieder die SS-Männer, Aufseherinnen und Hunde. Wieder diese Ungewissheit, was aus uns wird. Jeder Tag war wie ein Geschenk, denn man wusste nicht, weswegen man geschlagen werden könnte. Sagte man etwas oder machte etwas falsch, bekam man sofort einen auf den Kopf.

In der Baracke gab es einen großen Raum, in dem dreistöckige Pritschen standen. In der Mitte war ein Ofen. In dem Vorraum stand ein Kübel, denn nachts konnten wir die Baracke nicht verlassen. Ich weiß nicht mehr, was für Decken wir hatten, weiß nur, dass ich ständig fror. Nachdem die Baracke abends abgeschlossen worden war, schliefen meine Mama und ich zu zweit auf einer Pritsche. Dann war es ein wenig wärmer.

Morgens bekamen wir ein winziges Stück Brot, das für Frühstück und Abendbrot reichen musste. Manche aßen das Brot sofort auf, aber wir, meine Mama und ich, taten das nie, wir ließen immer den Rest für den Abend. Und dann gab es noch einen Becher Kaffee, schrecklich bitter, aber warm. Man trank ihn also. Wenn wir nachts in der Fabrik arbeiteten, dann aßen wir zu Mittag im Lager. Es stand dort eine Baracke, man ging mit der Schüssel hin und holte Suppe ab. Aber es gab keinen Platz, wo man sich hinsetzen konnte. Das Essen war ekelhaft, widerlich, geriebene aufgebrühte Kartoffeln ohne Salz oder Steckrüben.

Einmal ist eine Ukrainerin ausgebrochen, wurde aber schnell wieder gefangen. Die Deutschen stellten einen Galgen auf dem Appellplatz auf, und sie wurde dort aufgehängt. Wir, das ganze Lager, mussten Appell stehen. Der Lagerkommandant sagte: „Schaut euch das genau an. Das geschieht mit jeder, die flieht.“

 

Wacława Gałęzowska


Das Lager war mit Stacheldraht unter elektrischer Spannung umzäumt, ich erinnere mich noch an die Sicherungen. Ich weiß noch, wie eine nicht mehr aushalten konnte und sich auf diesen Stacheldraht stürzte. Sie wollte sterben. Das war wohl eine Französin. Man schüttete dann Erde auf sie, aber überlebt hat sie nicht.

In der Fabrik lagen einige Teile in Papier verpackt in Kisten. Dieses Packpapier nahm ich manchmal mit. Im Oktober und November war es bereits sehr kalt, und mein Kleid war so dünn. Ich legte mir dieses Papier unter das Kleid, um mich zu wärmen. In der Stube nahm ich es dann raus. Unsere Ersatzmutter sagte: „Wisst ihr was? Wir schreiben jetzt ein Kochbuch!“ Und wir schrieben alle Kochrezepte auf, an die wir uns noch erinnern konnten. Das half dann gegen den Hunger. Denn der Hunger war am schlimmsten. Ich hatte auch schreckliche Sehnsucht nach der Familie, wusste nicht, was mit meiner Mutter, mit den Schwestern passiert war.

Nach der Arbeit saßen wir in der Stube. Unsere Ersatzmutti passte auf, dass wir immer das Abendsgebet sprachen. Und sie war es, die zu uns sagte: „Wir geben nicht auf, wir werden singen!“ So sangen wir religiöse, manchmal auch patriotische Lieder. Die anderen meckerten allerdings: „Hört schon auf!“ Aber diese Lieder spendeten uns so viel Trost.

Kapitel 6 - Lageralltag – 12-Stunden-Arbeitsschicht – Tag und Nacht

Marianna Bogusz

Im Lager waren nicht nur wir, die Polinnen. Es gab auch Frauen aus Frankreich und Jugoslawien, es gab Italienerinnen, Ukrainerinnen, Russinnen. Mit ihnen hatten wir aber kaum Kontakt. Alle Häftlinge arbeiteten in zwei Schichten, tags- und nachtsüber, in der Fabrik. Wir mussten um fünf Uhr früh aufstehen und zum Zählappell antreten. Nachdem wir gezählt worden waren, gaben sie uns eine Scheibe Brot und Kaffee, wohl aus Eicheln, schrecklich bitter. Und dann in die Fabrik. Geführt wurden wir von Aufseherinnen mit Hunden und Wachmännern mit Gewehren.

In der Fabrikhalle war es sehr kalt, es gab dort ein großes Tor, so dass ein Zug reinfahren konnte. Wir arbeiteten in zwei Schichten, tags- und nachtsüber, abwechselnd. Die Arbeit war schwer. Ich bearbeitete Flugzeugteile. Das waren Metallschachteln, die wir mit schweren Feilen bearbeiten mussten. Zwölf Stunden konnte man kaum aushalten.

 

Janina Wyrzykowska 

Zunächst war ich mit meiner Mama in einem Arbeitskommando, so dass wir gemeinsam zur Fabrik gingen. Zusammen mit zwei anderen, etwas älteren Frauen, einer Ukrainerin und einer aus Jugoslawien, machte ich Schweißarbeiten. Ich war so müde und schwach, dass ich eines Nachts bei der Arbeit einfach einschlief. Als ein Wächter zur Kontrolle kam, wachte ich auf und zuckte zusammen. Er brüllte mich so an, dass ich vor Angst nur so zitterte. Die andere Frau schlug er schrecklich zusammen. Seit diesem Vorfall durfte ich nicht mehr in der Nachtschicht arbeiten. Das bedeutete die Trennung von meiner Mama, für mich eine Tragödie. Wir sahen uns dann kaum noch.

Eines Morgens ging ich in der Kolonne zur Arbeit, und meine Mama kehrte gerade ins Lager zurück. Meine Sehnsucht war so groß, dass ich die Reihe verließ, zu ihr lief, mich ihr um den Hals warf und in Tränen ausbrach. Die Aufseherin war so überrascht, dass sie auf mich zulief und mich schrecklich zu schlagen begann. Ich stand nur da, wusste nicht, was mir geschah und sah nur Sterne vor den Augen.“

 

Wacława Gałęzowska

Einige Tage nach der Ankunft kamen einige Herren und versammelten uns alle in einer Baracke, wo mehrere lange Tische standen. Sie hatten bunte Bausteine und Muster mitgebracht, und wir mussten diese Bausteine innerhalb einer bestimmten Zeit zurechtlegen. Sie schauten dabei auf die Uhr. Sie wollten wohl prüfen, für welche Arbeit in der Fabrik wir geeignet waren.

Das waren die Ardelt-Werke, eine Munitionsfabrik. Diesen Namen werde ich nie vergessen. Ich musste Geschosse hochheben, sie in eine Trommelmaschine legen und einen Schieber betätigen. Dann sprang er von selbst zurück. Das waren Geschosse für die Flak. Mir schmerzten die Hände von diesem Hochheben, dabei musste ich sehr viele Stücke während einer Schicht bearbeiten. Es war so schwer, dass ich eines Tages ohnmächtig wurde. Ich war so schwach, so hungrig.

Kapitel 7 - Begegnung mit den Deutschen – Wir waren nur „Banditenpack“

Wacława Gałęzowska

Auf der Straße durften wir uns nicht unterhalten, uns nicht umdrehen. Man hörte nur das Klappern unserer Holzpantinen. Deutsche Zivilisten gingen vorbei und wandten sich ab, als ob sie uns gar nicht sehen wollten. Ich weiß nicht, was sie sich dabei dachten. Wahrscheinlich hatten sie Angst. Aber in der Fabrik hatte ich einen Meister, bei dem ich die Trommelmaschine bediente. Einmal brachte er zwei belegte Brote mit und gab mir zu verstehen, dass ich sie aufessen sollte. Dabei zeigte er auf seinen Ehering: Wahrscheinlich war es seine Frau, die ihn dazu bewogen hatte, mir etwas zu essen zu bringen.

Als ich einmal während des Luftalarms einschlief und nicht in den Bunker hinunterging, fand mich eine der Aufseherinnen. Sie sprang auf mich zu und befahl, ihr meinen Holzschuh zu geben. Und mit dieser schweren Holzpantine schlug sie mich auf den Kopf. Erst als ein Werkschutz sagte: „So ein Kind schlägst du?“, besann sie sich. Im Lager wurde ich wegen Fluchtversuchs bestraft und musste Stunden lang am Stacheldraht stehen. Doch die Lagerführerin, eine große, stattliche Frau, die eine Uniform mit Schiffchen trug, schien mir zu glauben, dass es kein Fluchtversuch war. Ich denke, dass sie mich bestrafen musste, da ihr die Meldung der Aufseherin vorlag.

Einmal, als wir vor der Fabrik in Fünferkolonnen standen, trat meine Freundin Marysia einen Schritt aus der Reihe. Sofort stürzte sich ein deutscher Wachmann auf sie und verpasste ihr einen furchtbaren Tritt. Sie schrumpfte nur so in sich zusammen.

Janina Wyrzykowska 

Nachdem sie uns genau abgezählt hatten, mussten wir uns in eine Fünferkolonne aufstellen und es ging los zur Fabrik. Unter Bewachung selbstverständlich. Der Weg zur Fabrik war nicht besonders lang, aber damals schien er mir ziemlich weit. Jeder Schritt war schwer. Wir liefen auf der Fahrbahn, auf den Bürgersteig durften wir nicht. Und die Leute gingen vorbei, schauten uns an. Wohl voller Verachtung, denn sie wurden instruiert, dass wir Banditenpack seien.

Die Aufseherinnen waren junge Frauen. Sie trugen Militäruniformen. Mit uns durften sie sich auf keinen Fall unterhalten. Ich weiß nicht, warum mich einmal die eine so heftig geschlagen hat, als ich die Kolonne verließ. Vielleicht hatte sie Angst, weil die Wachmänner das ganze Geschehen mit ansahen. Vielleicht dachte sie, dass es für sie ein Muss war, mich zu bestrafen. Das war eine junge, großgewachsene, hagere Frau. Sie trug einen Umhang und hatte immer eine sehr strenge Mine.

Im Lager gab es auch deutsche Frauen, und sie wurden keinen Deut besser behandelt als wir. Sie galten als Regimegegnerinnen.

Marianna Bogusz

Als man uns in Fünferreihen führte, gingen meine Schwester und ich in der zweiten Reihe. Deutsche Kinder und Frauen warfen Steine nach uns, spuckten und riefen: „Polnische Schweine!“ Doch einmal, es war fast Winter, es gab ein weinig Frost und Glätte auf der Straße, marschierten wir wie gewöhnlich zur Fabrik. Unterwegs warf uns eine ältere Deutsche ein kleines Brot zu. Es fiel auf die Erde, mir fast unter die Füße. Aber ganz in der Nähe lief eine Aufseherin mit einem Hund, sie gingen immer neben jeder dritten, vierten Reihe. Bestimmt hätte sie den Hund auf mich losgelassen, hätte ich mich nach dem Brot gebückt. Die ganze Kolonne lief weiter, und das Brot wurde vollständig zertrampelt. Am Ende gab es nur noch weißen Staub, erzählten die anderen aus den hinteren Reihen.

Die Aufseherinnen wohnten in einer getrennten Baracke außerhalb der Lagerumzäunung. Einige verhielten sich richtig schlimm. Für nichts und wieder nichts gab es Schläge. Schaute eine falsch oder machte während der Arbeit einen Augenblick Pause, weil sie völlig erschöpft war, reichte das schon. Mit uns zu reden, war ihnen verboten, aber schlagen durften sie uns. Ihre richtigen Namen wussten wir nicht, aber jede hatte einen Spitznamen: „die Rothaarige“, „Koka“ oder „die mit dem Medaillon“, weil sie in einem Medaillon Fotos ihrer Eltern trug.

Einmal brachte man eine Puddingsuppe für die Aufseherinnen in die Fabrik, eine dünne, sehr dünne Suppe mit ein paar Nudeln. Als ich diesen Puddinggeruch roch, musste ich weinen. Wir standen an langen Arbeitstischen, und jede hatte ihre Schublade. „Die mit dem Medaillon“ stellte eine Schüssel mit dieser Suppe in meine Schublade, so dass ich sah, es war für mich! Ich aß ein paar Löffel und reichte die Schüssel an eine Kameradin weiter, dann noch an meine Schwester. Das war eine gute Aufseherin.

Kapitel 8 - Befreiung – nach Schweden

Marianna Bogusz

Es war wohl ein Sonntag Ende April 1945, weil wir vor den Baracken sitzen konnten. Damals bewachten sie uns nicht mehr so streng. Die Sonne schien so schön. Und plötzlich Flugzeuge. Der Himmel wurde ganz weiß vor Rauch. Man hörte nur das Brummen: uhuuu, uhuuu, uhuuu. Wir freuten uns, dass die Amerikaner oder die Russen kommen. Als die Flugzeuge weg waren, ließ man uns auf Lastwagen steigen. Die einen weinten, die anderen beteten. Noch andere erzählten, wie es im Jenseits sein wird. Dann kamen wir in Ravensbrück an und wurden zum Todesblock getrieben, einer Baracke, die niemand mehr verließ, außer für den Weg ins Krematorium. Nach einer Weile mussten wir aber auf dem Appellplatz antreten und die Winkel und Nummern abtrennen. Man brachte uns zum Zug.

Es dauerte lange, bis wir Dänemark erreichten, wo eine Fähre nach Schweden bereit stand. Alle unsere Lumpen wurden ins Meer geworfen. In Ystad standen große Militärzelte. Wir gingen duschen, wurden mit weißem Pulver bestreut, bekamen saubere Wäsche, Schuhe und Mäntel. Und dann gab es Essen. Ich weiß noch: Das waren Fischstäbchen mit Dillsoße. Alle wollten mehr, aber das war nicht erlaubt. Wir waren so ausgemergelt. Ich wog 30 Kilogramm. Die Übernachtung gab es in einer Schule in Malmö: die Klassenräume waren leergeräumt, ohne Schulbänke, nur Matratzen aus Papier lagen da ausgebreitet. Aus Papier waren auch Kissen und Decken, und sie knisterten so. Dort konnten wir uns hinlegen und schlafen. Wir fühlten uns wie die Engel im Himmel.

 

Wacława Gałęzowska

Als wir aus Ravensbrück weggebracht wurden, hatte ich noch so einen Gedanken: Vielleicht werden sie uns im Meer ertränken, und niemand wird dann wissen, was mit uns geschehen ist. Gott sei Dank sind wir aber in Dänemark angekommen, in Kopenhagen, und wurden in einem Universitätsgebäude, in einem Saal mit Etagenbetten untergebracht. Abends stellten sich einige Frauen ans Fenster und riefen uns zu: „Kommt Mädchen! Schaut euch das mal an!“ Drüben, auf der anderen Straßenseite stand wohl ein Opernhaus. Da fuhren Autos vor, und elegante, vornehme Damen stiegen aus. Ich sagte: „Kneift euch, kneift euch! Ist das alles wahr? Leben wir noch, oder ist das nur ein Traum?“

Wir alle wurden von mehreren Ärzten untersucht. Dann musste ich mich auf die Waage stellen. Ich war so ausgemergelt, dass jede Rippe zu sehen war. Ich wog nicht einmal 28 Kilo. Der Arzt fasste sich nur an den Kopf. In meinem Gesicht waren nur große Augen zu sehen. Am nächsten Tag schickte man uns zu einer großen Halle, wo es allerlei Stände gab, wie auf einem großen Marktplatz: Wäsche, Kleider, Schuhe, sogar Handtaschen und Handschuhe. Als wir uns dann anschauten, konnten wir einander nicht wieder erkennen. Alle so sauber gewaschen, so anständig angezogen. Mein Gott!

Auf der Insel Visingsö verbrachte ich ein halbes Jahr. Das war das Paradies auf Erden! Ich hatte Diät, fünf Mal am Tag bekam ich ganz wenig zu essen. Ich tat nichts und lag auf einem Liegestuhl. Schritt für Schritt erhöhte man die Portionen, so dass ich nach einigen Monaten schon 40 Kilo wog.

 

Janina Wyrzykowska 

Nun ist Schluss mit uns, sagten wir uns im Todesblock in Ravensbrück. Nun warten wir, bis sie uns vergasen. Zu essen und zu trinken bekamen wir nichts. Erst zwei Tage später brachte man uns diesen schwarzen, schrecklichen Ersatzkaffee. Alle stürzten sich darauf, so dass der Kaffee fast vollständig ausgeschüttet wurde und keine zu trinken bekam. Später bekamen wir amerikanische Lebensmittelpakete. Doch Mama sagte, dass wir nichts essen dürften, weil wir so ausgehungert waren.

Mit einer Fähre wurden wir nach Malmö verfrachtet. In einer Schule richtete man für uns eine provisorische Schlafstätte ein. Wir bekamen saubere Kleider, und auf dem Boden lagen papierne Matratzen, Kissen und Decken. Am nächsten Morgen fragte ich meine Mutter ungläubig: „Mama, sind wir im Himmel?“ Das war so ein Glücksgefühl. Du wachst auf und weißt nicht, ob das immer noch ein Traum ist. Du hast Angst, die Augen zu öffnen, Angst, dass dieser schöne Traum aus ist. Man war sauber, duftete, und die Bettwäsche war so weiß. Unglaublich nach dieser Hölle, durch die wir gegangen waren.

Kapitel 9 - Rückkehr – Warschau gab es nicht mehr

Marianna Bogusz

Unsere Mutter suchte uns über das Rote Kreuz. Als wir das im Radio hörten, wollten wir zurück. Mit einem Schiff ging es nach Gdingen und dann mit dem Zug nach Warschau. Wir kamen am Ostbahnhof an. Straßenbahnen gab es nicht, und wir mussten zu Fuß über eine Pontonbrücke laufen. Wir gingen und weinten. In der Altstadt und in der Stadtmitte gab es nur Trümmer und ausgebrannte Häuser, man konnte einen Herzanfall bekommen. Keine Straßen, man kam nicht durch, überall lag nur Schutt. Aber es waren schon Menschen da, sie richteten sich Höhlen in diesen Ruinen ein, um dort zu wohnen. Aus den leeren Fenstern und Löchern ragten Rohre hervor, die Leute kochten etwas, Lichter waren zu sehen.

1947 arbeitete ich in einer Fabrik. Samstags gaben sie uns schon um 11 Uhr frei, und im Speisesaal der Fabrik bekamen wir geschnittenes Brot mit Schmalz oder Margarine und Tee dazu. Und dann auf die Lastwagen und zur Enttrümmerung Warschaus. Wir richteten die Stadt wieder auf. Wir lachten viel, sangen Lieder. Und wenn wir uns umdrehten, dann waren wir froh, so viel gemacht, so viel geschafft zu haben.

Wacława Gałęzowska

Ich erfuhr, dass meine Mutter lebte. Dann sagte ich mir, nichts wie weg, nach Hause. Das war für mich das Wichtigste. Mit einem Schiff fuhr ich nach Gdingen und dann mit dem Zug nach Warschau. Aber Warschau gab es nicht mehr. Nur Trümmer, Ruinen, Schutt und Asche, Skelette von Häusern. Unser Haus war ausgebrannt und zerstört. Das dritte Stockwerk war eingestürzt, und wir wohnten im zweiten. Es regnete bei uns durch die Decke. Es gab keine Scheiben in den Fenstern. Erst allmählich richteten wir uns ein.

Janina Wyrzykowska 

Wir hätten in Schweden bleiben können, Mama hätte arbeiten und ich in die Schule gehen können. Aber Mama wollte unbedingt zurück, wollte nach Papa und Bruder suchen, wollte auch ihre eigene Mutter sehen. So dass wir schließlich Ende Oktober zurück in Polen waren. Unser Haus gab es nicht mehr. Wo sollten wir hin? Die Tanten wohnten auf dem anderen Weichselufer, im Stadtviertel Praga, das Haus war nicht zerstört, und wir gingen zu ihnen. Mama erfuhr, dass ihre drei Brüder im Steinbruch ums Leben gekommen waren. Doch ein paar Tage später schaute jemand durch das Fenster herein. Mama rief: „Schau mal, Papa ist zurück!“

Die Zeitzeuginneninterviews führte Ewa Czerwiakowski.

Kapitel 10 - Wiedersehen mit Eberswalde – Hier gibt es keinen Hass mehr

Von September 1944 bis April 1945 gab es in Eberswalde ein Außenlager des KZ Ravensbrück, einen Ort des Terrors und der Menschenverachtung.

Seit Sommer 2008 gehören zwei erhaltene Baracken dem Jugend- und Kulturverein Exil e.V., der hier einen Ort der Erinnerung und der aktiven Auseinandersetzung mit Rassismus in Vergangenheit und Gegenwart geschaffen hat.

Nicht den Herrführern, Armeen und kriegstechnischen Errungenschaften gilt unser Interesse. Wir fragen danach, was Krieg, Konzentrationslager und Zwangsarbeit für die betroffenen Menschen bedeuteten. Ein Großteil der Häftlinge des KZ-Außenlagers Eberswalde waren junge Frauen aus Polen. Drei von ihnen erzählten uns ihre Geschichte.

Wenn Deutsche und Polen gemeinsam ein freiheitliches und demokratisches Europa gestalten, wollen wir hier unseren Beitrag leisten.